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Geschichte der Rasse (Teil 3)

3. Der Whippet – ein uralter Hundetyp?

Es kann von daher nicht überraschen, dass schon seit der
Publikation von Renwick die Theorie vom Whippet als moderner Mischrasse von renommierten englischen
Züchtern und Experten vehement als schwaches Konstrukt zurückgewiesen wurde. Sie
formulieren eine ganz andere These, die – bei einigen Abweichungen im Detail – behauptet, dass
der moderne Whippet im wesentlichen reines Greyhoundblut in sich führe. Einige exemplarische
Positionen seien hier zitiert:

Der große alte Mann der englischen Whippet-Szene des frühen
20. Jahrhunderts  der Züchter und  Richter W.L. Renwick schreibt: „Thus I am forced to the conclusion that (…) the
Whippet, in my opinion, is a `bantamized‘ Greyhound or a Greyhound bred down in size.

Bei C.H. Douglas-Todd, einem weltweit  anerkannten Züchter und
Richter aus den 50er und 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts lesen wir: „To sum up this very interesting subject,
which I am certain can be one of surmise only, it seems that a Whippet is a small dog of Greyhound
type of great antiquity.“

Am besten wird diese Sichtweise unseres Erachtens von Mary Lowe
zusammengefasst: „So, in the evolution of the whippet, we have the little`
running dog‘ whose existence is proved by writers, painters and sculptors. His type carries on like a river
into which flow side streams from English greyhound, Italian Greyhound and terriers of various
sorts. But one is forced to the conclusion that whippets share the dominant genetic purity of
greyhounds
.(…) We believe that with selective breeding from the same genetic pool one could, in a few
generations, produce an Italian greyhound and a greyhound from
original whippet stock.“

Welche Position ist nun die
richtige? Da wir (noch) keine „genetische Archäologie“
betreiben kön- nen, sind wir auf vereinzelte archäologische Befunde, wenige
Schriftquellen und zahlreiche Bild- zeugnisse und deren Auswertung und
sinnfällige Verknüpfung angewiesen. Hinzu kommen die Er- fahrungen der Experten, die die Rasse in den frühen Jahren
des 20. Jahrhunderts genau beobachtet haben, auf die wir zuerst eingehen möchten.

Renwick
und Douglas-Todd lehnen die Kreuzungstheorie u.a. deshalb ab, weil
eine massive Zu- führung von Terrier-Blut unweigerlich seinen Niederschlag in
der Zucht gehabt hätte und immer wieder -vor allem in den ersten Jahrzehnten- zu sogenannten
throw-backs, d.h. zu Welpen mit ein- deutigem Terrier-Exterrieur hätte führen müssen. Beide
ausgewiesene, Fachleute, bestätigen, dass sie unter den vielen Hunderten von Whippetwelpen,
die sie selbst gezüchtet oder gesehen haben, nie solche Exemplare entdecken konnten. Dabei
leugnen sie keinesfalls, dass es auch Einkreuzungen gegeben habe, würden aber die
Resultate dieser Zucht mit M. Lowe eher als Lurcher (Mischlinge) denn als Whippets bezeichnen.
Douglas-Todd untermauert seine Position auch mit dem Hinweis auf das älteste je in England
gefundene Hundeskelett, das unter der Bezeichnung ‚Windmill Hill
Dog‘ im Salisbury Museum ausgestellt ist und erhebliche Affinitäten zum Knochenbau des modernen Whippet aufweist.

Nun ein
kurzer Blick in die wenigen schriftlichen Zeugnisse. Tatsache ist, dass das
Wort Whippet zum ersten Mal bereits im Jahre 1610 in der englischen Sprache nachzuweisen ist., wobei der Be- deutungsgehalt allerdings unklar bleibt.
Nur wenig später finden wir
allerdings eine literarische Quelle, aus der deutlich wird, dass es sich um einen kleinen Hund handelt:

In shapes and forms of dogges; of which there
are
but two sorts that are usefull for man’s
profit, which two are the
mastiffe and the little
whippet, or house dogge; all the rest are
for
pleasure and recreation

(JohnTaylor, the Water
Poet,1630)

Sehr interessant ist auch ein Blick in das erste
englischsprachige Buch über die Jagd „The Master of the Games“, welches im Jahre 1413 von Edward, Duke
of York, geschrieben wurde. Hier lesen wir:

„The good greyhound should be of middle size, neither
too big nor too little, andthen he is good for all beasts. If he were too big he is
nought for small beasts, and if he weretoo little he were nought for the great beasts. Nevertheless
whoso can maintain both, it is good that he hath both of the great and of the small, and
of the middle size“

Kann man eigentlich klarer ausdrücken, dass es bereits im
Mittelalter einen jagdlichen Bedarf nach mittelgroßen Hetzhunden gab. Wie könnte ein mittelgroßer
Greyhound ausgesehen haben?

Der große Meister Albrecht Dürer gibt uns die Antwort.

Auch
wenn sein „Whippet“ nicht unbedingt dem modernen Schönheitsideal
entspricht, so wird man ihn als `Vertreter seiner Rasse` anerkennen müssen.

Diese Darstellung
bringt uns zu den bildlichen Darstellungen, die die wichtigsten
Quellen für die Be- antwortung der Frage nach der Herkunft des
Whippet sind. Ihre Zahl ist so groß, dass in diesem Ar- tikel nur ganz wenige Beispiele vorgestellt werden
können. Wie bereits erwähnt, tauchen in der alt- ägyptischen Kunst immer wieder Darstellungen von Hunden
auf, die eindeutig als Windhunde zu typisieren sind. Vereinzelt findet man, z.B. auf Vasenbildern
auch Zeichnungen, die von Größe und Gestalt einen whippet-ähnlichen
Caniden erkennen lassen. Auch von den Kelten wissen wir, dass sie mit dem Vertragus
(Veltragus) bereits über einen windhund-artigen Begleiter verfügten,
„der sich in der Erscheinungsform vom Whippet praktisch nicht
unterschied.“ P.Gilmour, ebenfalls eine Gegnerin der der
„Kreuzungstheorie“, vertritt die Auffassung, dass in diesem keltischen Windhund die Vor- fahren des heutigen Whippets
zu finden sind.

Aus der römischen Periode sind zahlreiche
plastische Darstellungen von Windhunden, oft in  Be- gleitung der Jagdgöttin Diana, überliefert.

Die hier vorgestellte Skulptur, die in Pompeji gefunden wurde,
haben wir ausgewählt, weil sie die These von der sehr rühen Existenz der Whippets besonders
eindrucksvoll stützt. Die Hunde, die hier das Wildschwein angreifen, gehören eindeutig zum Typus der
kurzhaarigen Windhunde; das weisen Anatomie, Kopf , Ohren und Rute aus. Vergleicht man die
Größe von Jagdobjekt und Jägern, dann wird klar, dass es sich nicht um Greyhounds handelt,
sondern um Hunde mit einer Schulterhöhe von etwa 45-50 cm. Hand aufs
Herz: Könnte man diese Hunde nicht auch heute auf einer Whippet-Show zeigen, ohne sich zu blamieren? Ein weiteres
macht diese Plastik deutlich: Es bedurfte keineswegs der Einkreuzung von Terriern, um diese
mittelgroßen Windhunde mit den Schneid und dem Kämpfer- herzen auszustatten, der heute noch
unseren Whippet auszeichnet.

Das nächste Bild, das das Grabmal der Marguerite de Bourbon
zeigt, stammt aus der Kirche von Brou. in Frankreich.

Am
Fuße der Verstorbenen ruht ein mittelgroßer, kurzhaariger Windhund,
der offenbar den ewigen Schlaf seiner Herrin bewacht. Diese Darstellung, die dem
Anfang des 16. Jahrhunderts zuzuordnen ist, belegt nicht nur – wie die Abbildung Dürers – das
Vorhandensein dieses Windhundtyps in der Zeit des Übergangs vom Mittelalter zur Neuzeit, sondern zeigt
auch die hohe Wertschätzung, die diese Hunde auch bei den
gesellschaftlichen Eliten besaßen.

Von der Hand des englischen Bildhauers Richard J. Wyatt
(1795-1850) stammt das Werk, mit dem wir unseren kunsthistorischen
Streifzug beenden wollen.

Es
trägt den Titel „A Nymph taking a thorn out of a Greyhound
Foot“ und ist den City of Leeds Art Galleries zu bewundern. Wie Walsh und Lowe, die diese Plastik
abbilden und kommentieren, richtig bemerken, würde kein Kenner den abgebildeten Hund als
Greyhound oder Italienisches Windspiel identifizieren. Wenn auch der Künstler in seiner
Darstellung deutlich erkennbar antiken Traditionen verpflichtet ist und auf Vorbilder aus der römischen Epoche
zurückgreifen kann und damit kein zeitgenössisches Motiv abbildet,
so bleibt doch die von ihm gewählte Bezeichnung seiner Skulptur für unsere Frage interessant. Wenn er nämlich den dargestellten Hund
als Greyhound bezeichnen konnte, ohne bei seinen Zeitgenossen auf Widerspruch zu stoßen, dann
belegt dies doch eindeutig, dass es mehr als 50 Jahre vor der Anerkennung des Whippet als Rasse auf
der Insel Hunde gab, die einen mittelgroßen Greyhoundtyp
verkörperten, der dem modernen Whippet ausgesprochen ähnlich ist.

4. Fazit

Welches Fazit ist nun zu ziehen? Wir
möchten das dem geneigten Leser überlassen. Es ist nicht zu bestreiten, dass keine der hier vorgestellten Theorien zur Herkunft der  Rasse  Whippet
wirklich – im Sinne naturwissenschaftlicher Vorgaben – bewiesen werden kann. Nach unserer Auffassung ist die
These vom Whippet als Zweckschöpfung aus jüngerer Zeit allerdings zumindest ernsthaft in
Zweifel zu ziehen. Zu breit ist die Spur, die diese mittelgroße, kurzhaarige Windhundrasse in der Geschichte hinterlassen hat.
Wer sich heute mit der Geschichte unserer Windhundrassen
beschäftigt, der leistet vielleicht keinen wesentlichen Beitrag zu den Problemen, die -wie die Fragen nach der
Schulterhöhe, zur Auseinander-entwicklung von Show- und
Rennwhippets, zum angeblichen Typverlust – im Moment in der mehr oder weniger kundigen Öffentlichkeit diskutiert werden. Er bereitet sich allerdings das Vergnügen,
sich mit kulturellen Schätzen zu befassen, die die unendliche Geschichte der Beziehung zwischen den
Menschen und seinen offenbar immer hochgeschätzten Windhunden
dokumentieren.
Neue Untersuchungen am Genom
verschiedener Hunderassen, die vor wenigen Jahren in den USA erfolgten,  scheinen nun den Kritikern der Theorie von den Whippets als einer „modernen“
Misch-lingsrasse recht zu geben. Die Forscher haben nämlich
festgestellt, dass es eine sehr große genetische Nähe zwischen unserem  mo- dernen Whippet und dem Greyhound gibt. Bei massiver Terrier – Ein kreuzung zwecks
Herauszüchtung des Whippet müsste es deutlichere Unterschiede
zwischen dem Genom dieser beiden Windhundrassen geben.
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